Hans Braumüller, Ruggero Maggi, Clemente Padín und Chuck Welch, 2020
„Das Dokument VEREINT IN MAIL ART berichtet über die Entstehung und Entwicklung dieser als Mail Art bekannten Form des künstlerischen Ausdrucks … zweifelsohne die größte in Bezug auf die Anzahl der Beteiligten, auf die räumliche und zeitliche Ausdehnung und all das außerhalb der Industrie des Kunstmarktes … nur erklärbar durch ihren klaren Vorsatz, außerhalb des Kommerziellen zu arbeiten, und dabei die Kommunikation und den Wirkungsbereich der Verwendung (nicht des Tauschwertes) zu bevorzugen … daher wird sie niemals untergehen. Für eine echte Kommunikation reichen zwei Gesprächspartner, die ihre soziale Rolle wahrnehmen.”
Clemente Padín, Montevideo, 21.05.2020.
Inhaltsverzeichnis
- Geschichte
- Der erste „Ismus” der Mail Art – Neoismus
- Herausforderungen der Mail Art in Amerika
- Das Überleben der Künstler
- Mail Art-Projekte im Asiatischen-Pazifischen Raum, Australien und Europa
- Afrika
- Den Eisernen Vorhang in Osteuropa herausfordern
- Die gemeinsame Stimme der Mail Art Zine
- Mail Art Media von analog zu digital
- Archive der Mail Art
- Schlusswort
Geschichte
Mail Art, auch bekannt als Postkunst oder Kunst per Post, entstand in den 1960er Jahren. Diese Kunstform der Kommunikation wurde von der Fluxus-Bewegung beeinflusst, deren konzeptioneller Ansatz war, das Leben mit der Kunst zu verbinden. Fluxus-Künstler waren internationale Komponisten, Designer, Verleger und Dichter, die unter der gelegentlichen Leitung des litauisch-amerikanischen Künstlers George Maciunas bereits hin und wieder Adressenlisten, Briefmarken, experimentelle Postkarten und Postkits erstellten.
1970 förderte die kanadische Image Bank von Michael Morris, Vincent Trasov und Lee Nova frühe Netzwerkprojekte mittels internationaler Post als Kanal. Zwei Jahre später unterzeichneten im kommunistischen Polen 26 Mail Art- und Fluxus-Künstler ein Net Manifesto, in dem ein dezentraler, offener und nichtkommerzieller Netzwerkaustausch gefordert wurde. Das Projekt mit neun Punkten wurde von Jarosław Kozłowski und Andrzej Kostołowski koordiniert, bis eine Razzia in Kozłowskis Wohnung vom polnischen Polizeistaat durchgeführt wurde.

Vor Fluxus, Image Bank und Net Manifesto gab es bereits Briefwechsel im kleineren Rahmen von Person zu Person in den Korrespondenzen und Moticos (Collagen) des Pioniers der Pop Art Ray Johnson.
1945 verließ Johnson sein Zuhause in Detroit, Michigan, und reiste per Anhalter zum Black Mountain College in North Carolina, wo er vom berühmten Künstler des Bauhauses und Lehrer Josef Albers betreut wurde. Um 1960 verschickte er Kunst an hunderte Teilnehmer, darunter völlig Fremde, Kunstkritiker und Freunde der Pop Art aus dem New Yorker Kunstestablishment. Ed Plunkett, ein enger Freund von Johnson in New York, prägte den Begriff New York Correspondance School of Art, um Johnsons Mailing-Aktivitäten zu definieren. Diesen übernahm Johnson, um sich über die von Willem de Kooning geschaffene Abstract Expressionism Art School lustig zu machen. Ebenso veranstaltete Ray Johnson Nothings, um die Happenings von Allan Kaprow ins Lächerliche zu ziehen.
Ray Johnson hat nie behauptet, den Begriff Mail Art erfunden zu haben. Dieser wurde 1971 vom Kurator und Kunstkritiker Jean-Marc Poinsot in seinem Buch Mail Art: Communication a Distance Concept geprägt. In der Januar/Februar 1973-Ausgabe von Art in America erschien Mail Art als Begriff in einem Zeitschriftenartikel mit dem Titel Historical Discourse on the Phenomenon of Mail Art des amerikanischen Dichters David Zack, der zusammen mit Roy DeForest die Kunstbewegung California Funk Art gründete.
1970 würdigte das Whitney Museum of American Art die New York Correspondance School (NYCS) von Ray Johnson mit einer Kunstausstellung, die ausschließlich aus Johnsons Einladungen an andere bestand. Mehrere prominente Fluxus-Künstler betrachteten Johnson als den „Vater der Mail Art”. Obwohl Johnson bei mehreren Fluxus-Veranstaltungen Nothings aufführte, betrachtete er sich nie als Fluxus-Künstler. Er mochte es auch nicht, seine „Schule” als „Netzwerk” bewerten zu lassen. Der Fluxus-Künstler, Lehrer und Philosoph Robert Filliou verstand Mail Art als „ewiges Netzwerk”, dessen Zugang jedem offen steht, ob Künstler oder nicht. Hier ist ein Verweis auf den Begriff im „Fête Permanente / Eternal Network” zu sehen.
Mail Art expandierte und wurde zu einem „dezentralen Netzwerk” von mehreren tausend internationalen Künstlern, gefördert durch Projekte und Adressenlisten, die von Ken Friedman, dem jüngsten Mitglied der Fluxus-Bewegung, an der Westküste und von Dick Higgins an der Ostküste verteilt wurden. Im April 1973 war das Joslyn Art Museum in Omaha, Nebraska, Gastgeber von Ken Friedmans stadt- und regionweitem Netzwerkprojekt Omaha Flow Systems. Dieses wegweisende Netzwerkprojekt der Mail Art ermöglichte es Tausenden von Künstlern, Mail Art ohne Selektion oder Jury beizusteuern, was ein wichtiger Aspekt der Mail Art ist, der bis heute erhalten ist. Darüber hinaus wurde das Publikum ermutigt, Mail Art von den Wänden zu nehmen und an die leeren Stellen eigene Mail Art-Werke zu setzen. Robert Indiana, der herausragende amerikanische Pionier der Assemblage, steuerte seine Kunstwerke zum Austausch bei Omaha Flow Systems bei, ebenso wie die feministische Mail Art-Pionierin May Wilson aus New York City, eine enge Briefpartnerin und Freundin von Ray Johnson.
In den 1970er und frühen 1980er Jahren gedieh Ray Johnsons Schule, obwohl Johnson behauptete, sie in einer Anzeige der New York Times von 1973 „getötet” zu haben. Die internationalen Projekte von Fluxus entwickelten sich ebenso wie die kanadische Künstlergruppe General Idea. Ebenfalls aktiv waren die Mendocino Area Dadaists und die Bay Area Dadaists aus San Francisco; Anna Banana, Bill Gaglione, Buster Cleveland, Lon Spiegelman, Tim Mancusi, Monty Cazazza, Opal Nations, Pat Tavenner, Genesis P-Orrige und Ginny Lloyd unter anderen.
Der erste „Ismus” der Mail Art – Neoismus
Die Geburt des Neoismus begann 1979, als sich der ungarische Emigrant Istvan Kantor mit den Poeten und Herausgebern von Künstlerzeitschriften Al Ackerman und David Zack zusammentat. Zusammen erfanden sie eine multiple „Popstar”-Identität. Der fiktive Charakter Monty Cantsin sollte offen genutzt werden, so die Strategie. Von seinem Ursprung in Portland, Oregon, verbreitete sich der Neoismus in den 1980er Jahren nach Europa und der fiktive Charakter Monty Cantsin verwandelte sich später in das gemeinsam genutzte Pseudonym Karen Eliot und des britischen Schriftstellers Stewart Home. Neoisten in Montreal, New York, San Francisco und Baltimore gaben Manifeste, Flyer, Bulletins und Ausgaben der Zeitschrift Smile heraus, indem sie das Netzwerk der Mail Art als Vertriebssystem nutzten, eine schwierige Koexistenz beider heterogenen Bewegungen. Eine andere kollektive Identität, die sich in Italien manifestierte, war die von Luther Blissett, dessen „Nullträger” der Name eines glücklosen Fußballspielers einer Mailänder Mannschaft war.
Herausforderungen der Mail Art in Amerika
Ursprünglich war die Mail Art in Nord- und Südamerika in den 1970er Jahren dadurch geprägt, wie Mail Artisten dem kulturellen und politischen Status quo widerstanden. Während nordamerikanische Mail Artisten gegen Formalismus, Ruhm, Mode, Museen, Galerien, Kritiker und Institutionen rebellierten, widersetzten sich lateinamerikanische Mail Artisten repressiven Regimen und unterwanderten sie mit verdeckter Opposition. Das Ziel der lateinamerikanischen Kreativen war es nicht, die persönliche Identität zu hinterfragen, sondern offene, interdisziplinäre Strategien zuzulassen und eine lokale und globale Gemeinschaft zu etablieren, ein politischer Akt an sich. In Nordamerika bestand Ray Johnsons radikalster Akt darin, „kommerzielle Kunst” durch das Schenken oder Tauschen von Kunst über einen freien Austausch zugänglich zu machen (to free commodity art). In Lateinamerika war Mail Art jedoch ein revolutionärer Kampf, in dem Mail Artisten inhaftiert gefoltert, verbannt oder getötet wurden.

Edgardo Antonio Vigo (1928-1997), Clemente Padín, Paulo Bruscky und Graciela Gutiérrez Marx (Argentinien) waren die bekanntesten unter den ersten lateinamerikanischen Konzeptualisten. 1976 wurde Palomo, der Sohn von Edgardo Vigo, Opfer des rechtsgerichteten Terrorregimes Argentiniens, in dem Bemerkenswert ist auch die Ausstellung des deutschuruguayischen Künstlers Luis Camnitzer und der argentinischen Künstlerin Liliana Porter in Buenos Aires, 1968. Erwähnenswert ist desweiteren Pedro Lyra in Brasilien, der 1970 ein Manifest zur Mail Art veröffentlichte. In Lateinamerika institutionalisierte sich die Mail Art, durch die ersten Ausstellungen von Clemente Padín in Uruguay (1973), Edgardo Antonio Vigo in Argentinien und Paulo Bruscky in Brasilien (1974). Tausende von Studenten, Journalisten und Aktivisten getötet wurden oder „verschwanden”.
Im selben Jahr schrieb Vigo: „ARTE-CORREO: Una nueva etapa en el proceso revolucionario de la creación” (POSTKUNST: Eine neue Etappe im revolutionären Prozess des Schaffens), in der er Mail Art als alternative Geschichte der Kunst beschrieb. Seine argentinische Mitstreiterin Graciela Gutierrez Marx schlug eine Ideologie der Poesie in Aktion vor und beteiligte sich im August 1984 an der Gründung in der argentinischen Stadt Rosario der Asociación Latinoamericana y del Caribe de Artistas-Correo (lateinamerikanische und karibische Vereinigung der Post-Künstler), die die überwiegende Mehrheit der Mail Artisten aus Lateinamerika zusammen brachte und bald zu einem Instrument des regionalen Austauschs und Kommunikation wurde. Zwei weitere Gründer der Asociación Latinoamericana y del Caribe de Artistas-Correo sind Clemente Padín und Jorge Caraballo, beide wurden 1977 wegen Mail Art, die die rechtsgerichtete Militärjunta Uruguays kritisierte, inhaftiert und gefoltert. Padín hat wie Gutiérrez Marx Performances auf Straßen und öffentlichen Plätzen mit seiner Poesie aufgeführt, was Padín „die Sprache der Aktion” nannte.
Als die brasilianischen Postkünstler Paulo Bruscky und Daniel Santiago 1976 die zweite internationale Mail Art Ausstellung Brasiliens organisierten, wurde die Ausstellung sofort von der Polizei geschlossen, die Kunst wurde zerstört und Bruscky und Santiago wurden ins Gefängnis gesperrt. Bruscky erklärte: „Es ist immer dasselbe: diejenigen, die vorgeben, Kultur zu besitzen, werden immer versuchen, ihre eigenen Regeln durchzusetzen.”
In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die internationale Gruppe von Mail Art-Künstlern Solidarte zu erwähnen, die in verschiedenen Ländern aktiv waren, um in der Öffentlichkeit für die Befreiung des salvadorianischen Künstlers Jesús Romeo Galdámez Aufmerksamkeit zu schaffen, was zu seiner Freilassung aus der Haft geführt hat. Die internationale Gemeinschaft der Mail Artisten unternahm große Anstrengungen mit dringenden, globalen, vereinten Aktionen, um Clemente Padín von 1977 bis 1984 und Jorge Caraballo von 1977 bis 1978 aus der Haft zu befreien.

Das Überleben der Künstler
Künstlerische Provokation, Schock und Kontroversen sind heute ein Ziel, das mehr mit der Kunst an sich als mit Überleben zu tun hat. In den letzten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts hatten Mail Artisten in Lateinamerika, Osteuropa und auf dem Balkan Schwierigkeiten, innerhalb sozial, wirtschaftlich und politisch repressiver Regime zu überleben. In den frühen 1980er Jahren erlitten die polnischen Künstler Pawel Petasz, Tomasz Schulz und Andrzej Kwietniewski den Schock des Kriegsrechts, als die Solidaritätsbewegung Solidarnos´c´ von Lech Walesa 1981 verboten wurde. In Ostdeutschland ertrugen Robert Rehfeldt, Ruth Wolf-Rehfeldt und Friedrich Winnes jahrelang die Überwachung des Staatssicherheitsdienstes (Stasi). In Ungarn kuratierten die Mail Art-Archivare György Galántai und seine Partnerin Júlia Klaniczay wichtige experimentelle Kunstausstellungen unter ständiger polizeilicher Kontrolle.
Während der blutigen Balkankriege in den neunziger Jahren litten serbische Mail Art-Pazifisten wie Andrej Tisma, Dobrica Kamperelic, Nenad Bogdanovic´ und andere unter Konfiszierung, Zensur, Krieg, Armut und Hunger.
In Westeuropa und England wie in Amerika überlebten Mail Artisten, indem sie die von Kunstinstitutionen festgelegten künstlerischen Grenzen unterwanderten und überwanden. Dieses Überleben ist oft eine einsame Reise. Die Mail Art schafft zwar eine Verbindung zur Welt aus einem Briefumschlag heraus, aber die öffentliche Seite der Aktivitäten eines Mail Artisten ist häufig nur für Postangestellte erkennbar. Mail Artisten in Europa haben sich als Konzeptualisten durch das Erscheinen in lokalen Kunstszenen oder durch alternative Ausstellungsformen hervorgetan, indem sie Mail Art in Banken, Toiletten, Bars, Bordellen, Kellern, Schlafzimmern und auf Werbetafeln und Balkonen gezeigt haben.
Westeuropäer haben wichtige Beiträge in vielen Bereichen der Mail Art geleistet, darunter Künstler-Briefmarken, Stempel, Audiokunst, Künstlerbücher, Zines und Videokunst. Die Mail Art wuchs in der konzeptuellen Kunst von Klaus Groh. Der Konzeptualist und Zine-Künstler Robin Crozier schuf das Memo (Random) Memo (RY)-Projekt, eine Art Speicherbank für Erinnerungen und Reminiszenzen. Keith Bates gestaltete eine Mail Art-Schrift. Der belgische Mail Artist und Theoretiker Guy Bleus hat das Mail Art-Archiv Administration Center erschaffen.
Der dänische Filmemacher Niels Lomholt experimentierte mit Video in der Mail Art und Veröffentlichung von Formularen. In Holland hat Ruud Janssen die International Union of Mail Artists (IUOMA) gegründet. Rod Summers war ein Wegbereiter in den Bereichen Audiokunst, visuelle, experimentelle und konkrete Poesie. Ulises Carrión war ein renommierter Theoretiker und Kritiker der Mail Art und Künstlerbücher. Er hat auch Other Books and So ge- gründet, eine Amsterdamer Galerie/ Buchhandlung, die sich der Unterstützung experimenteller Künstler, Video-Performances und visueller Poesie gewidmet hat. Der westdeutsche Performer und bildende Künstler Josef Klaffki alias Joki und Henning Mittendorf erregten Aufmerksamkeit durch Kunstpoststempel.
In Frankreich tätige Mail Artisten wie Jean Nöel Laszlo organisierten wichtige Artistamp-Ausstellungen wie das Timbre d’Artiste des Musée de la Poste. Der französische bildende konzeptionelle Künstler und Dichter Daniel Daligand wurde als führender „Mickeymouseologist” des Eternal Network bekannt. Der Schweizer Konzeptstempelkünstler H. R. Fricker hat 1986 mit seinem Landsmann Günther Ruch, Herausgeber des Clinch Mail Art Zine, die ersten internationalen Mail Art-Kongresse organisiert. In Italien hat die Mail Art-Künstlerin Mariapia Fanna Roncoroni Buchobjekte ohne Text geschaffen (Libri Muti). In Forte Dei Marmi hat Vittore Baroni das Mail Art-Zine Arte Postale! entwickelt und mit dem italienischen Designer Piermario Ciani schuf er das Stickerman Museum, das sich allen Formen der Sticker-Kunst widmete. Guglielmo Achille Cavellini (GAC), ein außerordentlicher Künstler mit einer ironischen Persönlichkeit, war der Schöpfer des berühmten Konzepts der Selbsthistorisierung, der visuelle Dichter Marcello Diotallevi organisierte das Projekt Letters to Sender und Ruggero Maggi war ab Mitte der 1970er Jahre Kurator mehrerer Events für Frieden und nukleare Abrüstung mit dem Titel United for Peace, die sich der sozialen Situation in Polen und dem offenen Krieg zwischen Argentinien und Großbritannien um die Falklandinseln widmeten. Diese neuen Formen und Aktivitäten haben fortbestanden, weil Mail Artisten in Europa durch konzeptuelle Kunst und interkulturelle Zusammenarbeit Erfolg hatten.
Während osteuropäische und lateinamerikanische Künstler um das Überleben kämpften, sahen sich Mail Artisten in Nordamerika einer anderen Form der politischen Zensur konfrontiert. Nordamerikanische Mail Artisten betrachteten den Kunstmarkt mit Argwohn und behaupteten, dass das Establishment der Hochkunst Frauen, Minderheiten und neue Formen der Kunst wie Künstlerbücher, visuelle Poesie und Copy Art diskriminiere. Kritiker wie Thomas Albright und Greil Marcus tadelten die Mail Art als Quikkopy Crap (quick copied crap: schnell kopierter Mist) und erklärten: „Mail Art ist eine unmittelbar seltsame Gestaltungsform, die sich selbst von der Geschichte ausgeschlossen hat.” Gegen diese elitäre Sicht auf die Welt und die arrogante Diskriminierung veröffentlichten Charles Stanley (Künstlername Carlo Pittore), Chuck Welch (Künstlername Crackerjack Kid), David Cole, Mark Wamaling, John Held Jr. und J.P. Jacob eine Stellungnahme, mit der sie sich dem Kunst-Establishment öffentlich widersetzten. Im Februar 1984 sprachen diese Mail Artisten während öffentlicher Lesungen in New York bei der von der Wooster Street Gallery geförderten Kunstreihe Artist Talk On Art. Diese Serie umfasste zwei Podiumsdiskussionen zur Mail Art. Die zweite Präsentation, Mail Art: Eine neue Kulturstrategie schloss einen prominenten Kunstkritiker aus New York als Moderator aus, weil er Mail Art bei der Franklin Furnace Mail Art Then and Now International Exhibition juriert hatte. Die N’Tity Mail Art League unter der Leitung des Malers Carlo Pittore aus East Village erklärte: „Die Kunst ist nicht um der Kunst willen” (Art is not for Art’s sake), ein Gefühl, das von Mail Artisten in Korrespondenzen bestätigt wurde, die im Umbrella Magazine von Judith Hoffberg veröffentlicht wurden.
Als Ruggero Maggi gefragt wurde, was er von den Institutionen bezüglich Mail Art halte, antwortete er: „Mail Art uses institutions in the places of institutions against institutions” (Mail Art benutzt Institutionen an den Orten der Institutionen gegen Institutionen). Ein weiterer berühmter Slogan der Mail Art erschien 1985 auf zahlreichen Stempeln des Schweizer Konzeptualisten H. R. Fricker. Fricker verglich Künstler und bildende Kunst und feierte Künstler mit seiner Beobachtung: „Mail art is not fine art, it is the artist who is fine!”

Mail Art-Projekte im Asiatischen-Pazifischen Raum, Australien und Europa
Das öffentliche Gesicht der Mail Art tauchte oft als Ausstellungen in Japan auf, die erste war 1972 die Re-Cycle- Ausstellung in der Tokiwa Gallery in Tokio. In Neuseeland schuf Terry Reid, ein Künstler der Postkunst, die Inch Art Edition, im Format eines Broadsheet, das 1974 in Form einer Pseudo-Tageszeitung in Auckland präsentiert wurde. Frühe Friedensaktionen und Anti-Atom- Projekte der Mail Art wurden häufig in privaten Galerien in Japan, Australien und Neuseeland gezeigt. In Australien hatten sich zudem Mail Artisten über Amnesty International der politischen Solidarität angeschlossen, um lateinamerikanische Mail Art-Künstler zu befreien, die von Diktaturen in El Salvador, Brasilien, Argentinien, Chile und Uruguay inhaftiert wurden.
Drei japanische Pioniere der Mail Art, Shozo Shimamoto, Ryosuke Cohen und Mayumi Handa, entwickelten Netzwerkprojekte, indem sie ins Ausland tourten. Shimamoto, Mitbegründer der japanischen Avantgarde-Gruppe Gutai, nutzte seinen rasierten Kopf als Leinwand für künstlerische Interventionen von Hunderten von Künstlern, die er auf Tourneen in Europa und Nordamerika getroffen hatte. Handa setze sich im Netzwerk, genauso wie Shimamoto, für den Frieden ein, mit Haarschnitten, die sie Kami-Performances nannte. Brain Cell des japanischen Postkünstlers Ryosuke Cohen ist eines der beständigsten und langlebigsten Projekte der Mail Art. Das seit 1985 regelmäßig veröffentlichte Projekt, ist bis heute in über 1.080 Ausgaben erschienen.
In Zusammenarbeit mit Shozo Shimamoto ist Cohen der Gründer der Artists Union (AU / Art Unidentified). Beide Künstler arbeiteten mit Chuck Welch bei der Produktion von der AU erster Mail Art-Präsentation Flags Down for World Peace zusammen. 1985 sammelte Welch Hunderte von Friedensflaggen von Mail Artisten aus der ganzen Welt und lieferte sie an das Tokyo Metropolitan Museum, wo AU-Künstler die einzelnen Flaggen zu einem riesigen Banner zusammenfügten und installierten. Die Entfaltung des Banners wurde im japanischen Fernsehen landesweit für das Publikum übertragen. Im selben Jahr (1985) kooperierte Welch mit Ryosuke Cohen bei der öffentlichen Verteilung von Briefmarken des Friedens während des 40. Gedenktages der Bombardierung von Hiroshima.
Seit 1985 hat Ruggero Maggi das Shadow Project in Italien durchgeführt – unter anderem unter Beteiligung von GAC (Guglielmo Achille Cavellini) und Enrico Baj -, Irland, Deutschland (in Zusammenarbeit mit Peter Küstermann), den USA, Uruguay (in Zusammenarbeit mit Clemente Padin) und in Japan,1988 mit der Kollaboration von Shimamoto und Cohen: Das Projekt erreichte den Höhepunkt mit einer großen Zusammenkunft internationaler Mail Artisten am 6. August in Hiroshima und wurde dann auch in anderen japanischen Städten wie Tokio, Osaka, Kyoto und Iida ausgestellt.
Als die erste Atombombe in Hiroshima explodierte, verdampften die Menschen im Bruchteil einer Sekunde und hinterließen nur ihre Schatten auf dem Boden. Die Überreste dieser Opfer lieferten die Bilder und den Stoff des Shadow Project. Diese Aktion wurde mit dem Ziel ins Leben gerufen, an einen tragischen Moment in der Geschichte der Menschheit zu gedenken: Die Atombombe, die am 6. August 1945 um 8:15 morgens Hiroshima in Schutt und Asche legte, hatte mindestens drei Auswirkungen: Die sofortige Körperverdampfung der Opfer, schwere im Laufe der Zeit folgende Missbildungen und Krankheiten, die Gefahr einer Wiederholung der Tragödie.
Für die Erinnerung an dieses Ereignis wurde eine einfache und wirkungsvolle Form gefunden: Die Mail Art Artisten schnitten Umrisse von verschiedenen Menschen aus Papier aus und schickten diese an Maggi. Auf den Boden gelegt und anschließend übermalt hinterließen sie einen Schatten… eine effektive „Auslöschung der Menschheit” von großer Assoziationskraft. Das Shadow Project kann jedoch über seinen Ursprung hinausgehen: Aus den historischen Daten kann es erweitert und als allgemeines Symbol der Unmenschlichkeit angesehen werden. Das Sujet des Schattens wird vielseitiger und alltäglicher.
Die unbegreifliche Tragödie von Hiroshima kann in tausend einzelne Dramen unterteilt werden, die nicht weniger gravierend sind, weil sie so oft vorkommen. Jedes negative Ereignis ist letztendlich eine Subtraktion der Menschheit, ein Akt des kleinen oder großen Todes, der die Leere hinter sich lässt und daher einen Schatteneffekt verursacht. (www.ruggeromaggi.com)
Afrika
Der deutsche Mail Artist Klaus Groh bemühte sich frühzeitig, südafrikanische Künstler über seine Mail Art-Zeitschrift IAC-Info zu erreichen. Ein anderer deutscher Künstler, Volker Hamann, knüpfte Verbindungen nach Ghana und Südafrika. Hamann organisierte auch zwei der frühesten afrikanischen Mail Art-Ausstellungen in Accra, Ghana und Lagos, Nigeria. Aber es war der afrikanische Mail Artist und Journalist Ayah Okwabi, der die führende Rolle dabei spielte, afrikanische Bürger in das weltweite Netzwerk einzubeziehen. Okwabi unternahm 1987 schrittweise Versuche, Afrika mit dem Mail Art-Netz zu verbinden, mit Africa Arise and Talk with the World und 1994 mit Women in Africa. Im März 1992 fand in der Voluntary Workcamps Association of Ghana (VOLU) der African Mutant Congress von Ayah Okwabi statt. 1985 verteilten südafrikanische Künstler illegale Anti-Apartheid Künstler-Briefmarken, die von Chuck Welch zur Verteilung geschaffen wurden.
Den Eisernen Vorhang in Osteuropa herausfordern
Eine militärische, politische und ideologische Barriere, bekannt als Eiserner Vorhang, trennte die Länder des Sowjetblocks und Westeuropa zwischen 1945 und 1990. Von 1960 bis Ende der 1980er Jahre verkörperten der Eiserne Vorhang und sein kleiner Bruder, die berüchtigte Berliner Mauer, die Bemühungen des Kalten Krieges den Austausch von Kommunikation und Ideen zu unterdrücken und einzuschränken.
Mail Art und Politische Kunst waren in den osteuropäischen Ländern hinter dem Eisernen Vorhang nicht zu unterscheiden. Die Mail Art war subversiv in der Art und Weise, wie Künstler des Ostblocks Bürokratien verspotteten, sich Gesetzen und der Zensur von Postdiensten entzogen. Mail Artisten verwirrten und blamierten den Nachrichtendienst und die Geheimpolizei mit Karten wie Robert Rehfeldts schriftlicher Anweisung „Bitte denken Sie jetzt nicht an mich”. Es gab viele Streiche, als ostdeutsche Mail Artisten, die sich bewusst waren, dass ihre Post abgefangen und mit Wasserdampf geöffnet wurde, Kohlepapier in Umschläge steckten, um Spuren von Manipulationen aufzuzeichnen.
Mail Artisten platzierten mehrere Fragmente von Nachrichten und Objekten in Umschlägen, die von verschiedenen Orten aus verschickt wurden. Die Postkarten, Briefe und Umschläge enthielten handgezeichnete Bilder oder gestempelte verschlüsselte Nachrichten, die der Untergrundkunst des russischen Samizdat ähnelten. Samizdat ist ein Begriff, der literarische oder künstlerische Werke außerhalb der offiziellen Veröffentlichungen bezeichnet, um die Zensur zu vermeiden. Die repräsentativsten Mail Artisten waren Rea Nikonova und Serge Segay, die Gründer des ersten Postkunstmuseums der UdSSR.
Robert Rehfeldt (1931-1993) gilt als Gründungsvater der Mail Art in Ostdeutschland. Er und seine Partnerin Ruth Wolf-Rehfeldt veranstalteten häufig informelle Treffen in ihrem Pankower Studio in Ostberlin, wo sie unter ihren ostdeutschen Gefährten als Informationsquelle für die Kunstentwicklungen im Westen galten. Sowohl Robert Rehfeldt als auch Ruth Wolf-Rehfeldt erweiterten Korrespondenz zu einer Kunstform und als Verbindung zwischen Künstlern im Osten und Westen.
Die gemeinsame Stimme der Mail Art Zines
In diesen Zeiten hing die visuelle und experimentelle Poesie vollständig von der Mail Art ab, um verbreitet und bekannt zu werden. Dank der offiziellen Post kamen viele Ausstellungen zustande, und die Postkarte war ein natürliches Medium für diese Poesie. Insbesondere in Lateinamerika schaffte visuelle und experimentelle Poesie eine neue Sprache, die die Zensur und Propaganda der Massenmedien herausforderte, die in den damaligen Militärdiktaturen herrschte. 1973 schuf Clemente Padín in Uruguay das Assemblage Magazine OVUM, ein Remake des letzten OVUM 10 der 60er Jahre, das vor allem die poetisch-experimentelle Aktivität und die visuelle Poesie des Netzwerkes/Community verbreitete.
Der verstorbene polnische Mail Artist Pawel Petasz editierte Commonpress, ein Assemblage-Magazine, das heutzutage zu den einflussreichsten Publikationen der Mail Art des Kalten Krieges zählt. In den sozialistischen Staaten lebende Mail Artisten des Ostblocks verwendeten Mail Art Zines im Untergrund, um herausfordernde Aufrufe zu verbreiten, oft mit subversiven Postsendungen, die der Entdeckung durch staatliche Zensoren und Informanten entgingen.
Seit den späten 1960er Jahren wurde Mail Art als visuelle Poesie hauptsächlich in Künstlerbüchern oder Künstlerzeitschriften veröffentlicht. Der Vertrieb wurde von den herausgegebenen Künstlern organisiert. Portfolios wie UNI / Vers (;) des verstorbenen chilenischen Künstlers Guillermo Deisler wurden weltweit in Editionen von 100 oder mehr Exemplaren verteilt.
2007 brachte Francis Van Maele Sammlungen von kleinen Künstlerbüchern visueller Poeten heraus und 2009 begann er, neue Kompilationen von Fluxus Assembling Boxes zu veröffentlichen. Van Maele veröffentlicht zusammen mit seiner südkoreanischen Partnerin Hyemee Kim (Künstlername Antic-Ham) unter dem Namen Franticham.

Artists Stamp Assemblage Zines entwickelten sich in Lateinamerika, als die argentinischen Postkünstler Edgardo Vigo und Graciela Gutiérrez Marx von 1979-1990 24 Ausgaben von Nuestro Libro Internacional de Estampillas y Matasellos (Unser internationales Briefmarken- und Stempelbuch) veröffentlichten. Jede in Wellpappe handgefertigte Edition, bestand aus Zusammenstellungen, die fünfzehn bis zwanzig Ausgaben von Artist Stamps enthielten. In Uruguay veröffentlicht Clemente Padín in Zusammenarbeit mit anderen die Zeitschrift CORREO DEL SUR, von der ab März 2000 14 Ausgaben herausgegeben wurden.

Diese Tradition setzt sich heute in den Sammelboxen der italienischen Mail Art-Künstlerin Ptrizia Tictac fort. In ihren Stampzine Ausgaben befinden sich Kunstwerke von zwei oder drei Dutzend internationaler Mail Artisten in einer Box, die sich auf die Erstellung von Stamps spezialisiert haben. Bill Gaglione, ein renommierter kalifornischer Neo-Dadaist, der heute in Knoxville, Tennessee, lebt, hat 30 Ausgaben eines gleichnamigen Portfolios mit Stempeln geschaffen, inspiriert von den Editionen der Rubber Stamp Assembling Zeitschrift Karimbada. Karimbada wurde von 1978 bis 1980 von Unhandeijara Lisboa in Brasilien herausgegeben.
Die beiden Maßstäbe setzenden nordamerikanischen Mail Art-Magazine FILE und VILE begannen als Netzwerkpublikationen und waren Vorläufer zeitgenössischer Zeitschriften wie QUOZ. Das Magazine FILE erschien 1972 und zwischen 1974 und 1983 gab die kanadische Performance-Künstlerin Anna Banana das Magazine VILE heraus. In Deutschland wurde das IAC-INFO- Netzwerk (1969-1990), auch bekannt als International Artist‘ Cooperation, von seinem deutschen Verleger Klaus Groh mit dem Ziel gegründet, Künstler aus Osteuropa mit Mail Artisten aus der westlichen „freien” Welt zu verbinden, bedeutsam, wie auch die Edition Janus von Eberhard Janke und Elke Grundmann mit ihren sozialen Mail Art-Projekten.
Ein aktuelles herausragendes Projekt ist Artist Matter Zine von Hans Braumüller, gedruckt in Nachladen, Hamburg, 2019. Braumüller ist seit etwa 30 Jahren in der Mail Art und visuellen Poesie tätig. Das Artist Matter Zine basiert auf seinem Aufruf „Artist Matter: Think Global – Act Local”. Die Vielfalt der Beiträge kann online auf der Website artistmatter.crosses.net eingesehen werden.

Mail Art Media von analog zu digital
Mail Art war bahnbrechend und umfasste viele Formen der Kreativität; Copy Art, Postkarten, Envelopes, Künstlerbücher, Audioaustausch, Magazine, Stempel, Künstlerbriefmarken und digitale Kunst im Netz. Diese Arbeiten sind Formen der Information, Kommunikation und des kollaborativen Austauschs, die schließlich zur Entwicklung von der analogen Mail Art hin zur digitalen Netzwerkkunst führten. Dieser Trend blühte in den 1980er Jahren auf und führte zu Kongressen und digitalem Austausch per Fax. 1989 schuf der belgische Mail Artist Charles Francois RATOS, das erste BBS (Bulletin Board System), als Telekonferenznetz Off the Grid Modem, gefolgt von NYC Echo BBS von Mark Bloch und Mail Art BBS von Ruud Janssen in Amsterdam.

1989 schuf Chuck Welch im Kiewit Computing Center am Dartmouth College Telenetlink, das Mail Art mit dem Internet verband. Sein Projekt war eines von vierundzwanzig internationalen Netzwerkknoten, die integrierte Switch-Paketsysteme im Reflux Network Project von Dr. Artur Matuck verwendeten. Reflux Network Project war 1991 Teil der Biennale von Sao Paulo. 1991 wurden einige Email Art-Listen erstellt und von Welch auf den Bitnet-Servern veröffentlicht. Ende 1994 schuf Welch die erste Mail Art Website, das Electronic Museum of Mail Art. Es war auch das erste Virtual Reality-Kunstmuseum im Internet und wird heute von ACTLAB an der University of Texas in Austin erhalten. In Italien sind, das Dynamic Mail Art Museum SACS in Quiliano (Savona) unter der Leitung von Bruno Cassaglia und Cristina Sosio sowie die Ophen Virtual Art Gallery in Salerno unter der Leitung von Giovanni Bonanno, und in Deutschland, Lutz Wohlrab mit seinem Mail Artists Index (mailartists.wordpress.com), zu erwähnen.
Ein wichtiges Kunstkollektiv in den Jahren 2000 war AUMA / Acción Urgente Mail Art. Die Mitglieder waren Elías Adasme, Hans Braumüller, Fernando García Delgado, Humberto Nilo, Clemente Padín, César Reglero, Tulio Restrepo und andere. Gemeinsam entwickelten sie mehrere Projekte der Mail Art. Sie kommunizierten dabei in einer Periode von vier Jahren per Email aus entfernten Teilen Europas und Lateinamerikas miteinander. Zum Beispiel haben sie in einer Kampagne gegen die Todesstrafe mit Amnesty International zusammengearbeitet und haben Interventionen in eine von der NASA erstellten Satelliten- Weltkarte zum Thema Globalisierung und Ausbeutung ausführen lassen.
Archive der Mail Art
Mail Art-Archive sind von großer Bedeutung als Orte für wissenschaftliche Untersuchungen, telematische Kunst und Recherchen von Kunsthistorikern. Zwei beeindruckende Beispiele sind das Archiv Artpool von György Galantai in Budapest und César Regleros Boek 861. Das Archiv Boek 861 wurde dem Museo Internacional de Electrografía (Internationales Museum der Elektrographie) MIDECIANT der Universität Castilla-La Mancha in Spanien gespendet. In Deutschland würdigt das Landesmuseum Schwerin Mail Art aus Osteuropa. In Uruguay stellt Clemente Padín sein gesamtes Mail Art-Archiv in der Bibliothek der Universidad de la República, UDELAR, Montevideo, der Öffentlichkeit kostenlos zur Verfügung.
Der bildende Künstler, Herausgeber und Kurator Fernando García Delgado aus Buenos Aires betreibt ein wichtiges internationales Archiv, Mail Art / Arte Postal Vortice. In Belgien unterhält Guy Bleus sein Archiv The Administration Centre – 42.292. Die große Smithsonian Artistamp Collection and Mail Art Library von Chuck Welch befindet sich im Archiv für amerikanische Kunst in Washington, DC. Sein von Netshaker Press veröffentlichter Archival Mail Art Index ist ein Buch mit Referenzen bestehend aus 1.600 Seiten, Notizen, Kommentaren mit Hinweisen und eine Vorlage für die Archivierung von Mail Art-Ephemera.
Nach einigen Reisen zum Amazonas gründete Ruggero Maggi in Mailand, Italien 1979 das Archiv Amazon. Das Projekt übt soziale und politische Kritik an der brasilianischen Regierung aus, wegen der Zerstörung großer Teile des Amazonas-Dschungels zugunsten der transamazonischen Autobahnen – echte Schnittwunden in der Haut des Dschungels – und wegen der verheerenden Entwicklung der industriellen Landwirtschaft, die den Urwald verwüstet hat und bis heute immer weiter vernichtet.
Amazon ist ein sich entwickelndes Projekt: 1979 Amazon im Kunstraum Sixto/Notes, die erste Präsentation der Mail Art in Mailand; 1980 Amazonic Trip an der Katholischen Universität von Lima, die erste Ausstellung der Mail Art in Peru, die dem Sohn Abel Luis (Palomo) von Edgardo Antonio Vigo gewidmet war; 1981 Amazonic High Ways auf der 16. Biennale von São Paulo (Brasilien); die Wanderprojekte Some Amazonian Indians in Italien, Australien und Mexiko datieren zurück auf das Jahr 1982, während 2020 das Projekt Amazonia Must Live! gegenwärtig ist.

Schlusswort
Seit ihrem Anfang, die sich aus vielen Quellen speiste, ist Mail Art eine Netzwerksprache, die die Wichtigkeit des Multikulturellen hervorhebt. Mail Art ist eine offene, demokratische Form, in der verschiedene Identitäten und künstlerische Persönlichkeiten sich gemeinsam entfalten.
Mail Artisten kämpfen für soziale Gerechtigkeit und schaffen Projekte, die die kulturelle Vielfalt würdigen. Mail Artisten zelebrieren die gleichberechtigte Autorität und bauen Wechselbeziehungen zwischen Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit und Klasse auf; alles wesentliche Zielsetzungen in dieser turbulenten Zeit, in der wir leben. Mail Art ist oft ein unsichtbares, einsames und kostspieliges Unterfangen, das für seine Befürworter keinen Gewinn bringt.
Trotzdem gibt es eine schonungslose, kreative Suche in der Mail Art, die seit über fünfzig Jahren andauert, ein Bestreben nach Toleranz, Reziprozität und unzensiertem kreativem Austausch auf der ganzen Welt.
Diesen Text mit Bildern gibt es als Zine in 5 Sprachen, herausgegeben von Hans Braumüller und SdK in Hamburg, 2020. Gedruckt @ nachladen, Hamburg als Risographie auf Metapaper Recycling Extrarough, in einer Ausgabe von 60, von Hans Braumüller nummerierte und signierte Exemplare.





4 Sprachversionen gibt es als Slides auf UNITI NELLA MAIL ART – SANDRO BONGIANI ARTE CONTEMPORANEA
Die französische Version wurde von Hervé Fischer übersetzt und in Art versus Société : l’art doit changer le monde veröffentlict: www.analisiqualitativa.com/magma/