Rede zur Ausstellung “ Ü R S P R Ü N G E “ mit Bildern von Hans Braumüller in der “ Galerie am Lerchenweg “ , Lüneburg am 11. September 1993 gehalten von Helmut Ehlers, Hamburg.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lieber Hans Braumüller, lassen Sie mich mit einigen eher allgemeinen Sätzen zur Situation eines jungen Künstlers heute beginnen, bevor ich dann auf die hier ausgestellten Arbeiten von H.Braumüller eingehe.
Wir befinden uns im Zeitalter einer „Globalkultur“, entstanden durch die rasante Fort- entwicklung der Kommunikationsmedien, die die gesamte Welt umspannen. Jeder Trend in jedem Land, aber vor allem in Amerika und Europa wirkt stilbiidend in alle anderen Regionen der Erde. Ich verfolge die These einer damit verbundenen Kulturkolonalisierung,vor allem der Dritten Welt,nicht weiter, vielleicht wissen Sie um dieses Problem und um die vor allem aus Afrika kommenden Tendenzen der bewußten Rückgriffe auf die eigene traditionelle Kultur.
Warum ich dieses Phänomen hier überhaupt anspreche? Jeder Künstler und vor allem der junge Künstler muß heute die Entscheidung treffen, arbeite ich als Teil dieser Globalkultur mit, unabhängig von Herkunft, Zugehörigkeit und Tradition, also stelle ich die Frage nach meiner künstlerischen Identität so gar nicht, oder versuche ich gerade aus der Spannung zwischen Tradition und — ich nenne es hier einmal mit allem Zweifel-internationale Avantgarde – eine eigene künstlerische Sprache zu entwickeln?
Wie Sie wissen, ist Hans Braumüller in Santiago de Chile geboren, aber schon als Kind siedelte er nach Hamburg um. Hier ging er zur Schule und machte sein Abitur, um danach wieder zurück in Santiago, Kunst zu studieren. Seine eigenen kunsthistorischen Beschäftigungen mit altamerikanischen, indianischen Kulturen der Andenvölker, das sich daraus entwickelte Interesse für Picto- und Petroglyphen, die mit Symbolen und Figuren bemalten und geritzten, kreisförmigen Reliefobjekte, die wohl rituelle Bedeutungen hatten, die heute weitgehend unbekannt sind, formten seine Gestaltungsideen entscheidend mit.
Selbstverständlich kann ein junger Künstler sich nicht nur rückwärtsblickend entwickeln – auch schon sprachlich eine “ contradiction in se “ , bzw. eine Unmöglichkeit, er muß auch um die zeitgenössischen Kunsttendenzen wissen, nicht, um epigonal zu arbeiten, sondern um sich mit dem aktuellen Stand auseinanderzusetzen zu können und eigene, individuelle Wege ausprobieren zu können.
Die malerischen Ergebnisse dieser außerordentlich ernsthaft geführten Auseinandersetzung sehen wir heute in dieser Ausstellung vor uns. Traditionelle indianische Symbole, Farben und Figuren treten zwar nicht offen zutage, sind aber metamorphisch in den Gesamtentwurf der Komposition integriert, die andererseits informelle und neoexpressionistische Stilelemente zeitgenössischer und klassisch-moderner Kunst mitverwendet. Im Ergebnis sehen wir starkfarbige, abstrahierte Landschaftsbilder vor uns, in denen z.T. Menschen mit auftauchen, mehrschichtig aufgebaut, sowohl formal als auch inhaltlich.
Im folgenden möchte ich nun meine ganz persönlichen Gedanken und Assoziationen zu einzelnen Bildern als Anregung – nicht als allgemein gültige Interpretation verstanden wissend – darstellen, sozusagen als Ideenskizzen, entsprechend der Bilderskizzen, die wir hier in der Ausstellung sehen.
Der Titel dieser Ausstellung heißt :“ Ursprünge „. Er sagt schon viel über H.Braumüllers Bilder und seine Grundidee aus. Die Natur – hier hauptsächlich archaische Landschaftsformen – ist der Ursprung allen Lebens. Der Mensch tritt in ihr als integrierter Teil unscheinbar auf, zeugt eher durch seine Handlungen von seiner Stellung in ihr, seiner Macht, diese zu zerstören und sich selbst damit seiner Lebensgrundlage zu berauben. So wie,im Bild „Gedankenwelt“ umschließt eine Art „Höhle“, stellvertretend für „Natur“, den Menschen, der hier im Selbstportrait in dem mystisch ausgeleuchteten Ein-oder Ausgang erscheint. Er schaut aber nicht hinaus, sondern horcht mit geschlossenen Augen in sich hinein – auf die verbindenden Gemeinsamkeiten, auf seinen Ursprung.
Ähnlich ist es in dem Bild „Steinwesen“ – in ihm wachsen aus einer brennend rot- gelben Landschaft Wesen heraus und hervor, die endlich zu zwei unabhängigen Menschen werden.
Sehr häufig tauchen die Farben rot, gelb, türkis und die Erdfarben, kombiniert und akzentuiert mit schwarz, aufFarben der Sonne, des Feuers, des Himmels, der Erde und Farben des Lebens und des Todes – Farben, die wir von Textilien, Keramiken und Tonfiguren der indianischen Kulturen her kennen – also Farben des URSPRUNGS in doppeltem Sinne.
Auch Formen und Linien haben Entsprechungen in altamerikanischen Kunstgegenständen, ich weise nur auf die Zick-Zack-Linien hin, die wir hier z.B. als Bergkonturen sehen und ebenfalls in den Kunstgegenständen der Andenvölker, bis hin zu den Wegen, die sich die Berge hochziehen, die in ihren Zick-Zackführungen mit Steinen angelegt sind.
Auch in diesem Bild „Meine Lagune und die Stadt“ geht es um die Gestaltung einer Welt mit ursprünglichen Naturformen. Die Farben sind pastos aufgetragen, in die Rot- Braun-Violett-Töne sind Formen hineingeritzt worden, die Assoziationen von Gebäuden oder Relikten einen Stadt auslösendie schwarzen Konturen steigern noch die Unwirklichkeit der Komposition. Das Bild wird zu einer Vision der Vergänglichkeit, eine tiefe Melancholie strahlt von ihm aus, auch der “ Phönix “ im Himmel ist nicht das strahlende Symbol der Hoffnung und Wiedergeburt, sondern eher eine tragische Gestalt, die das Vergebliche der eigenen Erneuerung schon kennt.
Man könnte sicher noch viel über die Melancholie sagen, die ich meine in vielen Bildern von H.Braumüller spüren zu können, über ihren Ursprung – aus der indianischen Tradition, den Mythen und Riten – aber auch aus der gegenwärtigen Situation unserer Welt heraus. Auch rein formal ließe sich diese Grundstimmung aus den Farbkompositionen und Linienstrukturen ablesen. Es würde aber an dieser Stelle sicher zu weit führen.
Nur soviel sei gesagt: Man findet die Antipoden immer wieder – Entstehung und Zerstörung.
In Fragmente einer Landschaft “ und „… II“ liegen ursprüngliche, kraftvolle, wachsende Naturformen als untere Schicht auf der Leinwand, auf einer zweiten Ebene darüber eine heftige gestische schwarze Linienstruktur, die einschneidet, zersplittert und zerstört. Formal entsteht so eine große Spannung zwischen den Ebenen, inhaltlich ein Kontrast zwischen Naturform und willentlich abstrakter Struktur – die Situation bleibt in der Schwebe : Zerstörung oder Weiterwachsen ?
Es gibt aber auch Bilder, so in den sogenannten Skizzen, die spontanere Äußerungen darstellen hingemalt und gezeichnet mit Farben, Zeichenstift und Kohle, die H.Braumüllers Hoffnungen in das Fortwirken der Mythen und die überdauernde Kraft der Natur widerspiegeln.
Es bleibt selbstverständlich auch hier nicht bei einer realistischen Beschreibung von indianischen Figurinen, Masken und Totems, sondern er integriert sie in eine eigene ganz selbständige Komposition, verbunden durch Farb- oder Liniengerüste, aber sie sind vorhanden als ein tiefliegender Strom unter der Oberfläche.
In der Skizze 4/ Nr.9 entwickelt sich kraftvoll eine neue Welt,ein eigener kleiner Kosmos. Rotglühende Lavamassen wölben sich aus dem Untergrund empor, stoßen in einen kühlen roten Himmel,der von ähnlichen Strukturen durchzogen ist, wie sie sich in den Erdmassen befinden. Alles bleibt im Entstehen, es ist noch nicht vollendet- aber es ist auch noch nicht behauptet mit dem Vergänglichen.
Die Arbeitsweise, vor allem an den „Skizzen“ schließt an die „automatische Methode“ und ‚die „cadavres exquis“ der Surrealisten von Breton, Masson, Miro und Max Ernst an. Nicht nur diese Arbeitsweise, auch das Benutzen und Verändern von Natur – bzw. Landschaftsformen haben Entsprechungen bei M.Ernst – auch diese Spur weiter zu verfolgen würde hier zu weit führen, ebenso wie die Untersuchung des Benutzens des Vogelsymbols – des Vogels “ Lop-Lop “ – bei H.Braumüller, als vielfältig zu interpretierendes Symbol, obwohl dieser Versuch naheliegt, da Hans selbst eine Hommage an M.Ernst hier zeigt. Selbstverständlich sind bei H.Braumüller die normativen Grenzen des Surrealismus ä la Breton oder Max Ernst weit überschritten und spielen nur noch eine rudimentäre Rolle.
Lassen Sie mich schließen mit dem Wunsch, daß H.Braumüller seinen Weg konsequent und erfolgreich weiter verfolgen sollte und mit der Frage von Chérie Samba (Zaire) schließen, die mich wieder zu den Anfangsgedanken zurückführt:
Könnte unser Planet nicht ein Paradies sein für seine Bewohner?
Helmut Ehlers, 1993