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BRAUMÜLLER + MALEREI
Rede von Hajo Schiff zur Eröffnung der Ausstellung von Hans Braumüller
am 05.September in der Hauptverwaltung der Techniker Krankenkasse
* * Als Kunstmittler, aber auch als Reisender mit einer starken Vorliebe für
Lateinamerika ist es mir eine besondere Freude, die Ausstellung von Hans Braumüller
zu eröffnen.
Bei solcher Gelegenheit geht es weder darum, die gezeigten Arbeiten im Einzelnen
zu erklären, noch darum, allzu allgemein die Kunst zu loben.
Folgende vier Themen seien angesprochen: Lateinamerika und Landschaft, Geschichte
und Gesellschaft. Diese Themen scheinen mir geeignet, dem Hintergrund dieser
Kunst und den unterschiedlichen Arbeitsweisen von Hans Braumüller näher
zu kommen.
* Kunst darf heute alles. Von den wenigen immer noch strukturierenden Kategorien,
ist, nicht zuletzt wohl auch aus finanziellen Gründen, das Herkunftsland
und die nationale Zugehörigkeit der Künstler ein gerne gewähltes
Unterscheidungsmerkmal. Das ist so, obwohl viele Künstler energisch dementieren,
Repräsentanten ihrer Heimat zu sein und obwohl die Kunstgeschichte mit
den nationalen Schulen, ja gar einer Kunstgeschichte der Regionen stets und
seit langem Schwierigkeiten hat. Andererseits kann Kunst niemals so strukturell,
so allgemeinmenschlich und so abstrakt sein, das sie keinerlei Hinweise enthielte
auf das Lebensumfeld ihres Urhebers. Selbst ein monochromes rotes Bild, sogar
das berühmte schwarze Quadrat von Malewitsch ist noch auf seinen kulturellen
Rahmen hin aufschlüsselbar. Konzedieren wir also, dass Natur und Kultur
der Heimat jeden Künstler mitprägt – allein hüten wir uns
davor, dabei zu schnell in Klischees zu verfallen.
* Trotz dieser Bedenken: die Zuordnungen funktionieren. Schon wenn man ganz
unbefangen durch diese Ausstellung geht, entsteht sofort – und erst recht
auf den zweiten Blick – der Eindruck von etwas Lateinamerikanischen. Das
liegt sicher erst und unterschwellig an der starken Farbigkeit, das bestärkt
sich durch die Zitate von Zeichen aus alter mesoamerikanischer und heutiger
indianischer Kultur, das bestätigt sich durch das Auftauchen von collagierten
Objekten dortiger Volkskunst und noch einmal durch die Verwendung der spanischen
Sprache bei einigen Arbeiten.
* Solcherart Kunst ist nicht im Kämmerchen ausgedacht. Sie verdankt sich
auch der Biographie des Künstlers, die sich – wie gar nicht so selten
in dieser Weltregion – im Wechsel zwischen Südamerika und Europa
aufbaut.
Als Sohn eines deutschstämmigen Vaters und einer chilenischen Mutter mit
guatemaltekischen Verwandten in Santiago de Chile geboren, verbrachte Hans Braumüller
seine Schulzeit in Hamburg. Zum Studium aber ging er wieder nach Santiago, übrigens
in politisch schwieriger Zeit,
und seit 1992 lebt er wieder in Hamburg.
(Anmerkung: Dafür ging ein Jahr später Erich Honecker nach Chile).
* Diese Biographie von Hans Braumüller könnte auch eine aus früheren
kolonialen Zeiten sein, sie unterscheidet sich aber selbstverständlich
durch die heutigen Kommunikationsmittel – worauf noch zu kommen sein wird
– und durch einen früher in beiden Gesellschaften beiderseits des
Atlantiks so nicht beachteten Bezug zu den indianischen Traditionen und Wurzeln
ganz Lateinamerikas. Es sind ja gerade die Künstler – und vielleicht
noch die ökologisch Engagierten – die in Lateinamerika ein besonderes
Augenmerk auf die Indianer richten, die Indianer, die die Wirtschaft und die
Sozialsysteme oft ausgrenzen, die Indianer, die vor allem der erfolgreiche bürgerliche
Mittelstand dort nach wie vor meistens recht wenig schätzt, oft überhaupt
gar nicht beachtet.
* Hans Braumüller hat mit seinem Projekt „Crosses of the Earth“
entscheidend daran mitgewirkt, dass im Jahre 2000 im Neorenaissancebau des Museo
Nacional de Arte Contemporaneo in Santiago de Chile erstmals überhaupt
eine „Rogatiera“, ein zeremonielles Einweihungsritual der Mapuche-Indianer
durchgeführt werden konnte. Dabei ist klar, dass so ein Projekt nur in
Zusammenarbeit einer größeren Gruppe durchgeführt werden kann.
Es ist aber keineswegs unwesentlich, dass Künstler von außen, mit
der Definitionskraft europäischer Reputation, das Projekt mitbegründen
müssen.
Einen Dokumentationsfilm dazu ist in dem kleinen „Medienkabinett“
zu finden, das Hans Braumüller hier unter der Treppe eingerichtet hat.
* Knapp zehn Jahre früher war Hans Braumüller noch auf Dauer in Chile.
Ein Bild aus dieser Zeit, das älteste der Ausstellung, verarbeitet in direkter
Symbolik, gleichwohl nicht unmittelbar zugänglicher Bedeutung, das Fernerlebnis
der vor 15 Jahren errungenen deutschen Einheit. Das Bild mit dem Titel „Der
Deutsche Ausländer“ ist ein Bild zum Thema der historischen Auswanderung
und der aktuellen Rückwanderung, eine sehr persönliche Paraphrase
auf Trennungen und Einigungen, nicht zufällig auf zwei zusammengefügten
Bildtafeln gemalt. Es zeigt unter anderem den alten Kaiser, die Flaggenfarben
und die Negativform des Sternes aus der chilenischen Flagge als Assoziation
zum fallenden Stern der Sowjetmacht, vielleicht auch zum damals üblicherweise
aus dem Schwarzrotgold herausgeschnittenen Staatswappen der DDR.
* Dieses Bild ist in dem Teil der Ausstellung zu finden, in dem sich auch ganz
direkte politische Statements zu dem befinden, was „Besser für das
Volk“ sein könnte – so der Titel des jüngsten Bildes der
Ausstellung. Mit diesen beiden Bildern wird so eine deutliche Kontinuität
des politischen Interesses von Hans Braumüller und den daraus resultierenden
politischen Paraphrasen sichtbar. Es gibt dort vor den Aufzügen nun eine
Abteilung der Ausstellung, die dem nun überraschend aktuell gewordenen
Wahlkampf gilt.
* Doch nun zum Thema der LANDSCHAFT: Ich möchte diesen Begriff –
vielleicht gar nicht mit dem vollen Einverständnis des Künstlers –
zum zentralen Begriff der Arbeit von Hans Braumüller machen. Denn unabhängig
von den Titeln scheinen mir die meisten großen Bilder Landschaften zu
sein – oder zumindest als Landschaften lesbar zu sein. In starken Farben,
aber oft eher dunklem Licht, zeigen sich Szenarien, die – ohnehin schon
fremd – unter Nacht- oder Mondeslicht zu liegen scheinen. Es sind zwar
Raumtiefe vorspiegelnde Bilder, sie sind aber mit zahlreichen, der traditionellen
Landschaft ganz fremden Elementen aufgefüllt. Schon in einer der ältesten
Landschaften, dem Bild eines Gebirgs-Wüsten-Tals mit dem Titel „Pajaro
en el Valle Central“ gibt es seltsame Vermischungen: Dort verwachsen die
Felsen mit der Form eines großen Vogels. Auch Magritte hat Vögel
aus Stein gemalt. Aber was bei dem Belgier zu einem überrealistischen Denk-Paradox
führt, dient Hans Braumüller zu ganz anderen Zwecken: Im Zusammenwachsen
der grandiosen, abweisenden Landschaft mit den dort überlebensfähigen
Tieren entsteht dort eine ganz und gar nicht photographisch verstandene Bedeutungslandschaft.
Es ist nicht das Bild einer möglichen Naturerfahrung, sondern die Essens
davon, das Bild einer eigentlich unerfreulich abweisenden, menschenfeindlichen
Natur wird mythisch aufgeladen und zu einer individuellen Seelenlandschaft voller
verborgener Bedeutungen. Es ist in diesem Zusammenhang auch interessant, dass
man erst vor kurzem bemerkt hat, das manche Berge in den wüsten Gegenden
im Norden Chiles / Süden Perus nicht natürlichen Ursprungs sind, sondern
Reste sehr großer, sehr früher Pyramidenanlagen.
* Auch alle späteren Landschaften von Hans Braumüller konstituieren
einen mit Elementen der individuellen und der kollektiven Geschichte gesättigten
Außenraum. Oft entstehen sie überhaupt erst aus solchen Elementen:
So ist der sehr gut als Landschaft lesbare Hintergrund des „Kusses“
– eines spanisch „Beso“ betitelten großen, neunteiligen
Bildes – aus Schriftzügen aufgebaut; die reichbelebte Djungellandschaft
der „Animales“ dagegen ist aus der Vorgabe des Musters einer als
Malgrund dienenden indigenen mexikanischen Stickdecke entstanden. Weitere vier
große Bilder zeigen mehrfach gebrochene Landschaften mit stürzenden
Engeln und technoiden Bildstörungen. In den eher dunklen Landschaften von
Hans Braumüller zeigen sich weniger laue Nächte unter dem Kreuz des
Südens, sondern das Dunkel der Geschichte eines Kontinents, dessen vorspanische
Geschichte noch immer viele Rätsel bereithält und dessen neuere Geschichte
sehr viel Gewalt sah. Aber es geht nicht nur um das Dargestellte, es geht auch
um die Darstellung und unsere eigene Wahrnehmung, die andres als komplex, geradezu
überinformiert, gar nicht mehr denkbar ist.
* Als Begriffsklärung sei in Erinnerung gerufen, dass „Natur“
dasjenige, heute nur noch selten Anzutreffende ist, was noch nicht vom Menschen
überformt ist, dass „Landschaft“ aber immer etwas schon Gestaltetes
meint. Landschaft ist nicht nur die zur Agrarproduktion überformte Natur,
es ist auch die Kulturlandschaft im Sinne eines von geschichtlichen Orten, Spuren
und Erinnerungen gesättigten Raumes. Und so eine Landschaft kann zur Chiffre
werden, so eine Landschaft ist mehrdeutig. Sei es ein ornamentaler Garten oder
ein schönes Schlachtfeld.
* Derartige Mehrdeutigkeit gilt prinzipiell für jede Verbildlichung. Auch
die Schrift der Maya – Hans Braumüller verwendet signetartig mehrfach
solche Zeichen – wurde lange nur ornamental wahrgenommen. Erst viel später
wurde sie als Sprachzeichen erkannt und seit kurzem kann sie auch gelesen werden.
Dabei handelt es sich nun aber nicht um eine „falsche“ oder „richtige“
Rezeption, es ist vielmehr anzunehmen, dass diese nicht geringe und mehrdeutige
Artifizialisierung durchaus Absicht war. Das macht Schrift – ähnlich
wie im Chinesischen – eben auch als Bild, Metazeichen und Signet einsetzbar.
* Da mit diesen Überlegungen zur Sättigung der Landschaft mit zugleich
ordnenden wie mehrdeutige Geschichten erzählenden Elementen, das als drittes
angekündigte Thema „Geschichte“ gleich mit abgehandelt ist,
hier gleich das vierte Thema: „Gesellschaft“. Es ist klar, dass
eine Bedeutungslandschaft auch politisch ist. Und so ist es kein Zufall, dass
es den Begriff „Parteienlandschaft“ gibt. Und dieser Begriff fasziniert
Hans Braumüller. Er hat unter diesem Begriff sogar eine eigene web-domain
eingerichtet. Und das nun zeigt eine ganz andere Seite dieses Künstlers.
* Hans Braumüller malt Bilder, und er malt gerne und lieber eher wild als
pingelig in Acryl und Öl auf Leinwand, Nessel und anderen Bildgründen.
Aber das bedeutet nicht, dass er ein bloß traditioneller Atelierkünstler
wäre, dass er, wie es so schön kritisch-liebevoll heißt, ein
bloßes „Malschwein“ wäre. Künstler seiner Generation
sind wie selbstverständlich vernetzt, haben ihre Computer, besetzen eigene
internet-domains auf denen sie analoge und digitale Produktion mischen. Sie
kooperieren gerne vielfältig mit den neuen Medien – es gibt auch
in dieser Ausstellung ein Bild, in dem ein Video von Claudia Liekam läuft.
* Die heute allgegenwärtige Kompilatorik, das Zusammenfügen disparater
Teile, ist beiden Medien eigen, dem Malen und erst recht der Collage natürlich,
aber auch der Computerkomposition. Bei Hans Braumüller ist allerdings das
Scharnier noch sichtbar, bei ihm wird ganz deutlich, wie es notwendig war, erst
ohne das internet künstlerische Formen auszubilden, die dann anschließend
in das Netz übernommen werden konnten. Ich meine hier den besonderen Bereich
der mail-art.
* Mail-Art ist eine seit den 60er Jahren bekannte Form künstlerischer Kommunikation,
die den Gedanken des Fluxus nahe steht. Es werden kleine Artefakte auf dem Postwege
ausgetauscht, Fundstücke, Zitate populärer Bildwelten und Stempel
spielen dabei eine große Rolle. Wichtig auch, dass das Medium stets mitreflektiert
wird und die Grenzen des Copyrights sich vermischen. Diese „arme“
Kunst, mit der sich weltweit Tausende von Künstler vernetzten, bot auch
den Ländern der damaligen Peripherie eine gute Ausdrucksmöglichkeit.
Hans Braumüller hat mal gesagt, „mit wenigen, preiswerten Mitteln
etwas machen“, das sei typisch lateinamerikanisch – und da ist Mail-Art
sicher eines der Mittel. Eine der Reverenzen an dieses Arbeitsfeld ist das „Mail-Art-Mural“
ein Digiprint, also eine hochgezogene Fotokopie mit typischen mail-Art-Motiven,
mit der erstmals bei der Serie der Ausstellungen in der TK auch die Fenster
selbst „bespielt“ werden.
* Bemerkenswert an der Mail-Art ist, dass ein derartiger Austausch quasi vorwegnimmt,
was heute im internet möglich ist. Und so wandert ein derartiger Bild-
und Textaustausch zunehmend ins Netz. Neben einer Schale mit realen Objekten
kooperativer Mail-Art zeigen im schon erwähnten kleinen Medienkabinett
zwei Monitore eine „Diaschau“ von weiteren Beispielen. Auch das
schon erwähnte „Crosses of the Earth“-Projekt entstand aus
einer Mail-Art-Aktion mit zuletzt 340 beteiligten Künstlern. Dabei hat
sich in weltweiter Aktion das christliche Kreuz zu einem universalen Zeichen
gewandelt und wurde mit Blick auf die Ausstellung in Chile sozusagen zum Chakana-Kreuz
dekolonialisiert, zum auch an den Himmel geschriebenen Kreuz des Südens.
Doch dieses ganze Thema hier weiter auszubreiten, führt zu weit.
Kunstkritiker Hajo
Schiff am Tag der Rede, + Malerei, Hamburg 2005
* Wer sich immer wieder auf kollektive Prozesse, auf Gemeinschafts- und Gruppenarbeit
einlässt, wie Hans Braumüller, kann auch außerhalb der künstlerischen
Produktion kein ganz unsozialer, ganz unpolitischer Mensch sein. Viel seiner
Arbeiten enthalten implizit politische Anspielungen, in dieser aqusstellung
hat er dergleichen aber auch explizit mit leichter Hand inszeniert: Es gibt
Wahlaufsteller, auf denen der Künstler die doch recht bedeutungsoffenen
Parteislogans für seine Selbstwerbung nutzt, es gibt jenes Bild „Better
For The People“, auf denen die Tarnfarben des als Malgrund dienenden Militärstoffes
zu einer Landschaft sorgenlos dahinfliegender Menschen werden und es gibt die
zentrale Präsentation von Elementen einer Installation mit Bett, Lampe
und T-Shirt. „Das Wichtige Tun!“ verkündet das Hemd, das auf
einem Bügel hängt, der LOVE einfordert. Es ist sicher gewollt, dass
man bei einem in seiner totalen Richtigkeit schon wieder schwachsinnigen Merksatz
daran denkt, dass es die Redewendung gibt: „Die Meinung wie ein Hemd wechseln“.
* Und gleich daneben steht die Bett-Arbeit mit dem Titel „Das Gewissen“.
Und auf diesem „Ruhekissen“ steht geschrieben: KAPITAL / MACHT /
FREIHEIT.
Damit sind wir nun ganz direkt bei der Politik. Denn diese Arbeit in ihrem Rahmen
aus roter Tarnfarbe mit goldenen Füßen ist eine völlig klare
Aussage, geradezu ein vergessenes Fanal in diesen Zeiten.
[ das folgende in deklamatorischem Tonfall:]
Ein Fanal, das, ich sach’ ma’..., man nicht oft genug herausschreien
kann! und zu dem wir, unsere Freunde, und natürlich erst recht auch die
anderen..!., und vor allem, ...äh, sie wissen schon, also Kapital macht
frei, oder wie ich schon sagte Arbeit macht Kapital... oder kapitale Macht oder
so! Also, und das, meine Damen und Herren! gilt auch und gerade vielleicht für
die Neue Stärke der Nation im Fortschritt der Menschen durch die Arbeit
auch hier die Chancen! zu, äh, nutzen, auch für unseren politischen
Gegner, sie wissen schon! Guten Abend.
* Aber lassen sie sich nicht verwirren. Die eigentliche Botschaft der Kunst
ist ja gerade nicht dieser hohe, hohle Ton der scheinbaren Gewissheit. Die Botschaft
der Kunst ist immer die Ambivalenz, die Frage, ja der Zweifel, das Übermalen,
der Versuch, das Kooperieren mit anderen – alles Aspekte, die auch Hans
Braumüller hier demonstriert.
© Hajo Schiff, Hamburg 09/2005
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