Liebe Frau Lohmann, lieber Herr Lohmann
Lieber Hans Braumüller,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich danke sehr für die Einladung und freue mich, dass ich ein paar Worte der Einführung zu Hans Braumüllers Ausstellung sprechen darf, insbesondere nachdem ich nun nicht mehr in offizieller Kulturbehörden-Mission unterwegs bin und zudem noch eine künstlerische Produktion vorstellen darf, die – wenn ich es richtig einschätze – aus heutiger kulturpolitischer Sicht zu den künstlerischen Ausdrucksformen gehört, die eher geringe Chancen der Förderung haben dürften. Deshalb sind C15 und das Engagement des Ehepaars Lohmann gerade jetzt so unendlich wichtig und verdient unser aller Dank.
Hans Braumüller hat mir 1997 mit ein paar Arbeitsproben, eine kleine Publikation zugeschickt, in der ich folgendes Gedicht fand:
Guillermo Deisler
Die Luft weht die Asche meines Geistes
In die Leere deiner Augen
ach, der Tod holt den Namen deines Werkes
UNI/Vers
alle Flüsse fließen in das ewige Meer
unserer Vorstellung
so berührt von deinem Erbe
laufe ich zum Gebirge meiner Kunst
Guillermo Deisler, wie Hans Braumüller in Chile geboren, Braumüller 1966, Deisler 1940, lebte nach Verhaftung und Exil 1973/74 in Frankreich und Bulgarien, seit 1986 in Halle, wo er 1995 starb. Er war ein Vertreter der Visuellen Poesie und Mail Art und international bekannt mit seinem Portfolio “Uni/Vers” das von 1987 bis zu seinem Tode 35 mal erschien.
“Uni/Vers” erschien jeweils in 100 Exemplaren mit ca. 30- 40 Originalarbeiten von Visuellen Poeten. Als “Uni/Vers” startete schickte Deisler mir ein maschinengeschriebenes Manuskriptblatt mit der Programmatik von “Uni/Vers”, wo zu lesen war: “Visuelle Poesie heißt sehen & verstehen.” Und “Symbole – S für Sichtbarmachen der Zusammenhänge, M für mit allen Mitteln der Phantasie, O für ohne Rücksicht auf traditionelle Zwänge und E für ein Akt der Selbstbehauptung”. Er nannte das Ganze später “Peacedream-Project”, um auf Toleranz, Selbstverantwortung, Demokratie und Freiheit hinzuweisen.
Hans Braumüller, der nach dem Tod von Deisler alle Autoren von “Uni/Vers” noch einmal zu einer sogenannten 0-Nummer einlud, um den toten Freund zu ehren, kam früh mit dem “Peacedream-Project” und der Mail-Art-Programmatik von Deisler in Berührung. Und nicht nur die gemeinsame Geburtsstadt, sondern vor allem die Idee einer offenen internationalen Kommunikation der Kreativität hat ihn fortan geprägt.
Eines der wichtigsten Projekte von Deisler, war das Mail-Art-Projekt “Federn der ganzen Welt für meinen Flug” in der Galerie am Hauptmarkt in Gotha vom 27. März bis zum 28. April 1990. 186 Teilnehmer weltweit gab es. Auf der Teilnehmerliste fehlt zwar der Name Braumüller, aber ich gehe davon aus, dass Braumüller, der zu der Zeit in enger Verbindung zu Deisler stand, das Projekt kannte und so auch die Definition, die Deisler 1989 für das Projekt formulierte. Dort heißt es:
“mail-art realisiert offene Kommunikation auf dem Postweg, ohne Einschränkungen. Kommunikation contra Isolation als Credo des Projekts. Kommunikation mit künstlerischen Mitteln auch als Alternative zur eigenen Exil-Situation. Ich verschickte einen Aufruf an die ganze Welt. Vorgegeben war nur das Thema, sonst war alles erlaubt, was mit der Post versandt werden kann. Ich wollte mit Leuten Kontakt aufnehmen, die nicht unbedingt Künstler sind, jedoch ähnliche Gedanken haben, und die es überall gibt. … Diese Arbeiten zeigen den guten Willen, die Notwendigkeit, miteinander zu kommunizieren durch die Post,- trotz der Grenzen, verschiedenen Sprachen, Anschauungen und Kultur”.
Ein Jahr nach Gotha beginnt Hans Braumüller mit seinen Mail-Art-Projekten: 1991/92 Origin Project, 1992-95 “Help me to paint”, 1997 “Reeperbahn 1997”, 1988/99 Crosses from the World, das im Jahr 2000 in Santiago de Chile unter dem Titel “Crosses of the Earth” mit allen Beiträgen in einer großen Installation gezeigt wurde, 2001 Identity and Globalization und schließlich in diesem Jahr: What is BSE.
Mail-Art, wie sie Hans Braumüller in der Nachfolge von Deisler versteht, ist die voraussetzungslose engagierte Mitteilung, die jeweils neue Ausdrucksformen jenseits von gewohnten künstlerischen Ausdrucksformen und Qualitätsmaßstäben sucht. Die Mitteilung als Knoten in einem weltweit gespannten Netz, das über nationale Grenzen hinweg den Dialog befördert, die politische Einmischung riskiert, Sprachgrenzen ignoriert und ästhetisch mit allem und gegen alles spielt, was als Instrumentarium schon etabliert zu sein scheint.
Wie wichtig dabei das Ziel, die sogenannte Message ist, zeigt sich in oft gleichen Themenvorgaben der Mail-Art-Projekte, die in großer Zahl seit den 60er Jahren – allein über 2000 zwischen 1970 und 1990 – organisiert wurden. Hans Braumüllers Projekt “Crosses from the World – Hommage to Indigenous People” lief fast parallel zum Projekt von Wilfried Nold”. Das kosmische Kreuz” 1998 – beide verweisen aufeinander, keiner reklamiert für sich die Urheberschaft.
Im Mittelpunkt steht also das Bedürfnis nach Mitteilung, nach Kontaktaufnahme, die über die rein sprachliche, also Textmitteilung hinausgeht.
Historisch betrachtet wird der Beginn dieser Ausdrucksform auf 1962 datiert, als der Künstler Ray Johnson (1927-1995) die “New Yorker Correspondence School of Art” gründete und Freunde mit eigenen Arbeiten postalisch belieferte, was er schon 1943 ausprobierte, als er die Mail-Art als Kunstmedium der Korrespondenz mit seinem Freund Arthur Secunda nutzte. Die Nähe zur Konzeptkunst, vor allem aber zu Fluxus der späten sechziger und frühen siebziger Jahre sind evident: Gemeinsame Basis war das Misstrauen gegenüber dem wertvollen Kunstobjekt, das vermarktet werden könnte. Dick Higgins und Emmett Williams in den USA, Ben Vautier und Robert Filliou in Frankreich, Joseph Beuys und Wolf Vostell in Deutschland beteiligten sich an der Mail-Art und 1972 gab der Fluxus-Künstler Ken Friedman, der 1967 der New Yorker Correspondence School beitrat, eine “International Contact List of the Arts” mit 1400 Namen heraus – eine wichtige Grundlage für Mail-Art-Projekte der Folgejahre.
Man kann allerdings auch – wie viele dies tun – noch weiter zurückgehen und 1916 den Ursprung von Mail-Art datieren, als Marcel Duchamp begann, seine Ideen per Post zu verschicken und 1918 eine zur Kunst deklarierte Aktion per Post auslöste, als er von Buenos Aires aus seine Schwester Suzanne in Paris aufforderte, ein Geometriebuch vom Balkon ihrer Wohnung herabhängen zu lassen.
Aber warum nicht auch auf Karl Ludwig Kirchner verweisen, der bereits 1908 gezeichnete Postkarten und auf Postkartengröße zugeschnittene Grafiken verschickte. Und wenn wir schließlich noch weiter graben, finden wir am 27. 8. 1899 gar die erste Mail-Art-Aktion, als Karten von einem Ballon namens Jupiter während eines Fluges flächendeckend abgeworfen wurden.
Doch das Verschicken an sich, wiewohl ein wichtiges Element, ist natürlich nicht das entscheidende Kriterium für Mail-Art und insofern müssen all die Vorformen sehr sorgfältig voneinander unterschieden werden. Denn Mail-Art heißt auch Partizipation: So in den frühen Projekten als Kettenbriefe ausprobiert, dann in der Folgezeit als Kollaborationsarbeit versucht, indem eine halbfertige Postkarte einem Kollegen zur Einarbeitung weiterer Ideen geschickt oder als Themenstellung, bei der eine bestimmte Text- oder Bildvorlage zur Bearbeitung angeboten wird. Und schließlich gibt es noch die besondere Form der – wie ich es nenne – summaries”, wie sie der Japaner Ryosuke Cohen, der 1980 mit Mail-Art begann, Monat für Monat seit vielen Jahren in Osaka herausgibt, indem er weltweite Zusendungen miteinander in einer “brain cell” collagiert.
Er schreibt dazu: “We have not yet obtained the peaceful world and even now we are confronted with racist, nuclear explosion, civil war, confrontation of nations a. s. o. I think understanding the other party, sharing with them, is the best way to aproach to the peace and, that is the art itself” – und hier schließt sich wieder der Kreis zum Peacedream-Projekt von Deisler.
Ich glaube aber auch – wenn Sie mir dies zum Schluss noch gestatten – dass ein weiterer wichtiger Aspekt im Zusammenhang und im Hinblick auf die Zukunft von Mail-Art eine Rolle spielt: Die Veränderungen, die in unserer Informations- und Kommunikationsgesellschaft seit Jahrzehnten zu beobachten sind. Wir haben das ja in Hamburg von 1990 bis 2000 in den INTERFACE-Symposien und den folgenden Dokumentationen, die alle im Verlag des Hans-Bredow-Instituts erschienen sind, untersucht und im letzten Band, INTERFACE 5, der gerade erschienen ist, habe ich das noch einmal ausführlich dargestellt und will mich deshalb hier nicht wiederholen. Aber ich möchte wenigstens den Hinweis geben, dass bereits 1982 der Künstler Fred Forest den Begriff “Ästhetik der Kommunikation” prägte und damit meinte, dass sich unter dem Einfluss der elektronischen Medien die künstlerische Produktion vollkommen verändern würde, ja die Kommunikation selbst zum Kunstwerk erklärt werden muss. Nicht das fertige, vollendete Kunstwerk sei die Zukunft sondern, die von Interaktion und Partizipation geprägte Kommunikation.
Verfolgen wir schließlich noch, wie die Dominanz des Literarischen zugunsten des visuellen Aspekts in allen Medien des letzten Jahrhunderts zurückweicht, dann haben wir zwei Momente vor Augen, die für die Entwicklung der Mail-Art und ihre Zukunft z. Bsp. im Internet, in dem z. Bsp. bereits 1984 literarische Kollaborationsarbeiten bei Art Com/San Francisco entstanden, ganz entscheidend sind.
Heute gibt es im Internet zum Beispiel EMMA, das Elektronische Mail Art Museum und diverse Mail-Art-Foren, und auch Hans Braumüller hat den Schritt ins Internet Hans Braumüller längst gemacht, und so zeigt sich bei ihm eine direkte Linie von der Ausbildung mit dem Diplom in Bildender Kunst 1991 an der Universidad de Chile in Santiago de Chile, über die Malerei und Dichtung, der Zusammenführung in den Mail-Art-Projekten, hin zu den Video- und Internet-Arbeiten. Und dies alles vor dem glücklichen Hintergrund, dass wir es mit einem Künstler zu tun haben, der in seiner Person, wie die Biografie ausweist, die Brücke zwischen Kulturwelten zu schlagen versteht.
Hans Braumüller hat dazu selbst einmal aufgeschrieben:
“In der Spannung zwischen Vergangenheit und Zukunft, Natur und Zivilisation recycelt er Zeichen und hinterfragt den Sinn des Lebens, indem er sich mit den aktuellen Zuständen der modernen Gesellschaft, wie Ausbeutung und Fortschrittsglauben, auseinandersetzt”.
Ich wünsche der Ausstellung öffentliche Aufmerksamkeit, C15 und Hans Braumüller weiterhin alles Gute.
Vielen Dank für Ihre Geduld.
Prof. Dr. Klaus Peter Dencker
Literaturwissenschaftler, Hochschullehrer für Medientheorie und Medienpraxis
Hamburg, Dezember 2002