Malerei Objekte mail art von Hans Braumüller
mit Gästen aus Chile, Kanada, USA und anderen Ländern
Gedanken von Ulla Lohmann
zur Ausstellungseröffnung in der Galerie des Künstlerhauses Hamburg-Bergedorf
Sehr geehrte Damen und Herren, lieber Hans,
der Titel Collaborations ist für den Künstler Hans Braumüller Programm. Kooperationen, Dialoge, Austausch von Ideen und Meinungen, von gesellschaftlichen, politischen und individuellen Standortbestimmungen zeichnen sein gesamtes bisheriges Werk aus. Seine Kunst ist Kommunikation. Sie reicht von der Internetkunst über mail art und visuelle Poesie, bis hin zur Malerei, die durch die Integration von Zeichen und Symbolen altamerikanischer Kultur sowie durch Texte und Fragmente aus dem Medienalltag und ihre expressive Farbigkeit eine außergewöhnliche Prägung erhält.
Diese Diversität nutzt er kreativ, um die neu aufkommenden Begrenzungs- und Konformitätsgefahren der Globalisierung wenigstens partiell zu überwinden. So wurde im Laufe seines künstlerischen Schaffens ein weltweites Netzwerk über Personen, Nationen, Ausdrucksformen und Positionen geknüpft. Einige wenige, jedoch sehr entscheidende Aspekte aus diesem vielfältigen Arbeitsprozess repräsentiert die aktuelle Ausstellung im Künstlerhaus Hamburg-Bergedorf. „I Manifest In Spirit“ ist das Leitmotiv der vier inhaltlichen und operativen Schwerpunkte. „Kooperation„, „KultUr„, „Internet“ und „Mail Art Networking“ sind darin zugleich unterschieden und vereint.
Ausgangspunkt der Schau ist das Projekt „Help Me To Paint “ aus dem Jahr 1995, in dem Hans Braumüller erstmals mail art und Malerei miteinander verband. Nach dreijähriger Arbeit fand dieses Kooperationsprojekt, mit insgesamt 168 Kollegen aus aller Welt, in einer Ausstellung in Santiago de Chile seinen Abschluss. Geografische, politische und künstlerische Grenzen wurden überwunden. Die Aufforderung zu gemeinsamer Arbeit ist im heutigen Dialog medial sehr viel weiter gefasst. Der Aufruf bezeiht jetzt auch andere Methoden des künstlerischen Ausdrucks mit ein. Die Akteure kommen natürlich wieder aus Chile, dem Geburtsland von Hans Braumüller, aber auch aus Kanada, den USA und aus Deutschland. Mit dabei der Performance-Künstler und visuelle Poet Richard Hartwell oder die Multimedia-Künstlerin Claudia Liekam, mit ihren emotionalen, digitalen Werken. Sie haben, wie die anderen Mitwirkenden, die von Hans Braumüller bemalten Objekt-Module, Dreiecke, Kreise oder Quader mit ihrer individuellen, phantasievollen Handschrift weiter entwickelt, sie in ihren persönlichen Schaffenskontext gestellt und neu interpretiert. Das Werk „Transcend – Convert“ von Richard Hartwell, mit der typischen, formalisierten menschlichen Figur seines von ihm erfundenen, beweglichen Pantomorph oder das für Claudia Liekam charakteristische Video „Der Kuss“ sind dafür herausragende Beispiele.
Mit den drei hier vertretenen chilenischen Kollegen Ciro Beltran, Rodney Gullé und Marcela Arredondo hat Hans Braumüller bereits von 1986 bis 1992 in Santiago de Chile zusammen gearbeitet. Sie haben damals eine Künstlergruppe gebildet und eine Zeitschrift herausgegeben. Der Titel war „La Preciosa Nativa „, „Die schöne Eingeborene“. Nun treffen sie sich ein weiteres Mal zum gemeinsamen kreativen Prozess. Vier Dreiecke sind jetzt entstanden und zu einer neuen, fast magisch symbolischen Einheit zusammengeführt. Mit dem quadratischen, schwebenden Objekt von Humberto Nilo klingt, ebenso wie bei Richard Hartwell noch einmal die visuelle Poesie an.
Ein äußerst geheimnisvolles, tiefgründiges Werk ist „Nahual.com“. Es zieht den Betrachter in die Welt der Träume und der Trance, der Schamanen, des Spiritualismus und des Jenseits, zu der die Menschen zu Lebzeiten keinen Zugang haben. Ausgangspunkt der Arbeit ist ein flach geschliffener, aus Mexiko stammender Stein, in den kunstvoll eine sitzende Figur und verschiedene Zeichen eingraviert sind. Angereichert wird das Objekt mit polierten Baumstücken aus dem Wald der Umgebung. Die Äste sind so bearbeitet, dass sie den Eindruck von Knochen vermitteln. Ihre Farben deuten auf Erde, Wasser und die Luft, die den Himmel oder das Universum repräsentiert. Auf dem Stein ist eine mexikanische Gottheit dargestellt, eine sitzende Figur, umgeben von vier Totenköpfen. Die Mutter Erde, Herrscherin über Leben und Tod, Symbol der Dualität der Existenz. In der Mitte der Bauchnabel, das Zentrum des Universums. Der quadratische Aufbau deutet auf die vier Himmelsrichtungen. Hans Braumüller knüpft hier ganz bewusst an den Dialog mit der altamerikanischen Kultur an. Rudimente verschollener Mythologien werden in aktuelle Positionen transponiert und neu reflektiert.
Auch der mexikanische Schamane aus Jade, integriert in ein kreisförmiges Holzstück, steht für diesen künstlerischen Ansatz. Vier Farben, weiß, rot, schwarz, gelb, vier Elemente, vier Himmelsrichtungen, vier Varianten menschlicher Existenz auf vier Kontinenten, vier Grundfarben südamerikanischer Kultur und Mythologie.
Alte und neue Kunst verbindet Hans Braumüller schließlich ebenfalls bruchlos mit der expressiv surrealen Übermalung einer aus einem mexikanischen Museum stammenden Frottage. Mit seiner Arbeit „Palenque“ geht er auf die Kunst der Maya ein, hier aufgenommen in einer männlichen Figur mit ihrem Alter Ego. Sie ist konkreter Ausdruck und Zeichen zugleich und verkörpert die Doppeldeutigkeit von Realität und Idee. Nicht offenkundige Kontexte sichtbar zu machen, Brücken zu schlagen zwischen fremden Kulturen und Zusammenhänge von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft herzustellen, gelingt dem Künstler mit den verschiedensten Ausdrucksmitteln und Aktionen.
Ebenso wie die Rudimente ferner Mythen, können auch Gegenstände der Alltagskultur in den kreativen Prozess einbezogen werden. Fein gewirkte Tücher mit mexikanischer Stickerei werden wie Bilder auf einen Keilrahmen gespannt und malerisch überarbeitet. Der Stoff aus der kunstgewerblichen Produktion, mit stilisierten Vögeln, Blättern und Fabelwesen, wird vollkommen in das Kunstwerk integriert. Durch die neue Farbigkeit erhält das Gewebe mit der symmetrischen, figurativen Anordnung und einem zentralen geflügelten Wesen, mit ausgebreiteten Schwingen in der Mitte, eine reliefartige Struktur und räumliche Ausdehnung. Mit dieser erweiterten künstlerischen Dimension zielt Hans Braumüller unmittelbar in das Zentrum gesellschaftlicher Normen und Konventionen und auf die immer noch begrenzte Auffassung von Hochkultur und Volkskunst und deren andauernder Unvereinbarkeit.
Earth.crosses.net oder plutokratie.com sind synthetische Produkte aus Internetverbindungen und Malerei. Die Arbeit Earth.crosses.net stellt eine erneute Reflektion des Projektes „Crosses of the Earth“ dar, das im Jahr 2000 als „Homage an die Ureinwohner“ im Museum für Zeitgenössische Kunst in Santiago de Chile stattgefunden hat. Sie verbindet die alte und die neue Welt, deren Kulturen, Religionen und soziale Verhältnisse und beleuchtet diese aus unterschiedlichen geografischen Blickwinkeln. Eingebunden die Malerei ist eine Arbeit einer guatemaltekischen Künstlerin. Ihr Bild schildert die materiellen Rahmenbedingungen des dortigen Lebens. Es zeigt in stark abstrahierter Manier und strenger formaler Gliederung die Ernte von Kaffee, Baumwolle und Zuckerrohr. Viele Männer, reduziert auf das Gesicht und Frauen, die nur an ihren Hüten erkennbar sind, sind daran beteiligt. Das objekthaft eingeordnete Kreuz aus Mexiko ist Symbol des katholischen Glaubens. Der darin enthaltene Mais verweist aber auch auf den Ursprung der meso-amerikanischen Kultur, auf den sozialen Organisationsstatus der Sesshaftigkeit, auf Fruchtbarkeit und auf den Beginn des Lebens. Die Malerei von Hans Braumüller integriert darüber hinaus mehrere Idiogramme aus dem mexikanischen Kodex, bis hin zu mail art Stempeln und begibt sich damit in eine äußerst vielschichtige und überaus komplexe Durchdringung von altindianischen und neuen Lebensformen.
Die Weltkarte in der Malerei plutokratie.com ist ebenfalls mit Zeichen aus dem mexikanischen Kodex angereichert, die das Universum, Himmel, Erde und Unterwelt symbolisieren; dreizehn Himmel, 13 geflügelte Tiere, 13 Gottheiten. Dieses Bild steht in unmittelbarem Kontext zum Internetprojekt „Identität und Globalisierung „, das in einer Slideshow projiziert wird. Hintergrund ist ein Satellitenbild der Erde, das von den teilnehmenden Künstlern aus dem Netz heruntergeladen und überarbeitet werden kann. 2002 wurde das Projekt auf der VII. Internationalen Biennale in Ecuador vorgestellt.
Einen anderen Teil der Schau bildet das „Mail Art Networking“. Zu sehen sind der von Hans Braumüller dokumentarisch und autobiografisch inszenierte „Briefmarkenkatalog“ des Projektes „Operation Mankind “ aus dem vergangenen Jahr sowie zwei weitere Neuzugänge aus diesem Konzept. „Operation Mankind“ ist ein internationales Produkt nach der Methode des „ADD, ALTER and RETURN“. Durch immer noch wieder eintreffende Arbeiten erweitert sich das Werk stetig und führt den Prozess des Dialogs auf diese Weise fort. Der Mensch steht auch hier im Mittelpunkt. Medizinisches Studienobjekt, Patient, Analyse, Diagnose, Heilung, Gesundheit, vielfältigste Stationen der Befindlichkeit und verschiedenste, bisher unbekannte Rollen und Rollenerwartungen begegnen sowohl dem Einzelnen, als auch der Gesellschaft im Ausnahmezustand Krankheit.
Für ein aktuelles mail art Projekt hat der Künstler eine Kollage apokalyptischer Visionen von Fotokopien aus dem Internet synthetisiert und zur Überarbeitung an einen chilenischen Kollegen geschickt. Mit dieser Arbeit „Das Ende der Welt: Jahr 9999″ wird wiederum der Dialog mit diesem Medium hergestellt.
„Exquisite.corpse“ schließlich ist eine Homage an die Surrealisten und die Künstler der 60er und 70er Jahre, die deren Form der kommunikativen Kunst aufgriffen. Gemeinsam entwickelte Zeichnungen entstanden über Briefe im Postversand. Dem jeweiligen Empfänger waren immer nur Teile des Absenderbeitrags zugänglich. Mit der Methodik der Kooperation und der abschließenden Präsentation im Internet, stellt die Arbeit, vier Teile von den vier Künstlern Adamse, Braumüller, Padin und Nilo erarbeitet, die aktuelle Verbindung von der traditionellen Post-Kunst zur heutigen mail art her. Präsentiert wurde sie 1999 im Museum für zeitgenössische Kunst in San Juan, Puerto Rico.
All diese kooperativen Aspekte seines umfassenden Werks werden heute erstmalig in einer Zusammenschau gezeigt. Hans Braumüller markiert Grenzbereiche von Kunst, Kulturen und Religionen. Er überschreitet geografische, soziale und politische Barrieren. Er verbindet Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Er integriert autobiografisches. Seine Arbeiten sind hybride Systeme aus Malerei, Objekt, mail art, visueller Poesie und Internet. Er bewegt sich in einem Netzwerk von Medien und Methoden künstlerischen Schaffens. Das Bekenntnis „I Manifest In Spirit“ wirkt darin wie die Projektion eines strategischen Überlebensplans auf eine Welt von nie gekannter Kommunikation und Mobilität und doch so großer Gefahr von Normierung und Beschränkung. Sein Gegenmittel ist: kooperative Vielfalt.
Hamburg, 14. August 2004